Mittwoch, 28. Oktober 2015

Peer Martin: Sommer unter schwarzen Flügeln (Oetinger 2015)



"Sommer unter schwarzen Flügeln" von Peer Martin ist ein extrem spannender und hoch aktueller Roman über die heutige Situation in sozialen Brennpunkten in Deutschland.

Text-Inhalt: Nuri ist mit ihrer Familie aus Syrien geflohen und lebt nun in einem Asylantenheim. Calvin ist ein Mitglied einer rechten, unabhängigen Jugendorganisation. Sein Vater ist häufig abwesend, seine Mutter hat häufig Kopfschmerzen, so sorgt Calvin häufig für seine zwei jüngeren Brüder. Als er die beiden von ihrer Nachhilfestunde abholt, trifft er dort auf ein Mädchen, auf Nuri. Sie rettet ihn von einem einstürzenden Balkon und erzählt ihm ihre Geschichte, worauf er sich hoffnungslos in sie verliebte. Zuerst sträubt er sich noch gegen diese Gefühle, doch irgendwann muss er sich diese eingestehen. Allerdings will ihn seine Clique nicht aussteigen lassen. Sie sind außerdem nicht davon abzubringen das Asylantenheim anzuzünden.

Einschätzung: Dieses Buch hat mich zu tiefst gerührt. Es ist wie eine moderne Variante von Romeo und Julia mit einem sehr aktuellen Bezug. Es zeigt mit unglaublicher Tiefe auf, wie selbstzerstörerisch die heutige Gesellschaft ist. (TH12)


Das Buch behandelt ein sehr wichtiges und in Deutschland aktuelles Thema. Wahrscheinlich wusste der Autor 2013, als er die Geschichte spielen lässt, noch gar nicht, wie aktuell das Thema für uns alle werden würde. Es geht um die Konfrontation zwischen Flüchtlingen überwiegend aus Syrien und Neonazis in Brandenburg. Es ist schwer zu lesen, weil Brutalität und Folter im Vordergrund stehen. Alles in mir hat beim Lesen geschrien, ich wollte nicht glauben, was Menschen heute in unserer modernen Welt einander antun. Und auch noch glauben, dass sie im Recht sind. Und Konzentrationslager wie Ausschwitz oder  Folterkammern in Syrien einfach als Märchen abtun, die erfunden wodern seien, um anderen Angst zu machen. Aber der Autor wird wissen, wie Neonazis in sog. Strukturschwachen Gegenden „ticken“ - schließlich hat er sie jahrelang in der Jugendarbeit kennenlernen können. Aber natürlich weiß man, man hat es in der letzten Zeit verstanden, dass Unbelehrbarkeit gefährlich werden kann. Dass es hier in Deutschland Überzeugungen gibt, die sich durch nichts belehren lassen.
Wie wichtig es ist, über die eigene Gesinnung nachzudenken, macht der Autor deutlich, indem er jedem Kapitel zwei sich widersprechende Zitate einander gegenüberstellt. Der Leser muss Position beziehen, es geht nicht anders.
Schwierig ist das Werk weiterhin, weil es aktuelle tagespolitische Einzelheiten voraussetzt bzw. einbindet. Anspielungen auf die komplizierter rechte und autonome Szene bei uns und die verwickelten und wenig übersichtlichen Ereignisse in Syrien. Die jüngste Geschichte Syriens lernt man kennen, indem der Autor Nuri – die weibliche Hauptperson – immer wieder ihre Geschichte weiter erzählen lässt. Diese Erzählungen sind auch optisch abgesetzt. Gleichzeitig hat dieses verfahren  auch einen aufklärerischen Hintersinn, denn am Ende jedes Kapitels sind Stichwörter für die vertiefende Internetrecherche angegeben.
Zum Inhalt: Zwei „Lager“ stehen sich  unversöhnlich gegenüber. Eine Gruppe junger Rechtsradikaler, die brav alles nachplappern, was ihnen ihr „Führer“ vorbetet und eine Gruppe junger Asylanten, die fast alle ein Trauma erlitten haben. Beide Seiten haben nichts zu verlieren, die einen haben weder Schulabschluss noch Ausbildung und keine Perspektive und träumen von einem neuen Deutschland, das als Paradies dargestellt wir und die anderen haben schon alles verloren. Und dann nähern sich ein Mädchen (Nuri) und ein Junge (Calvin) einander an. Sie verlieben sich. Das Problem: sie gehören wie bei Romeo und Julia nicht derselben Seite an. Es wird deutlich, wie viele Vorurteile gegen Ausländer das Miteinander verhindern und auch wie schwierig es ist, aus der rechten Szene auszusteigen. Packend und entsetzlich wird sachlich berichtet, was sich die beiden Seiten einander antun. Am Ende kommt fast so etwas wie Hoffnung auf, bis.... Aber das soll nicht verraten werden aus Gründen der Spannungserhaltung.
Fazit: man kann immer neu anfangen kann. Es gibt wirksame Zeugenschutzprogramme.  Jeder Mensch ist gleich wertvoll und zur richtigen Tat zum richtigen Zeitpunkt fähig, unabhängig davon, woher er kommt. 
Ich glaube, dies ist ein wertvolles Buch, das man sicher einige zeit im Kopf behalten wird. Gerade im Moment wird deutlich, wie Menschen sich zu einer unsicheren Flucht entschließen können und dass wir ihnen  eins geben sollten: Ruhe und Sicherheit und die Abwesenheit von Gewalt.  Auf der anderen Seite versteht man auch, was vielen Jugendlichen bei uns fehlt: Bildung und Perspektiven.  Auch für Bildung lohnt sich Engagement.
Ich würde dies Buch ab 15 empfehlen, denn es beschreibt doch stellenweise äußerst Brutalität. Der Autor ist selbst nicht davon überzeugt, dass er ein Jugendbuch geschrieben hat. Dem schließe ich mich an. Dennoch: Es ist ein gutes Aufklärungsbuch und könnte in der Schule Pflichtlektüre werden. (UP13)

Schlüsselwörter: Syrien, Rechtsradikale, Nazi, Krieg, Folter, Asylanten